Freitag, 27. April 2012

HUMPPA – ELÄKELÄISET 26.04.2012 Jena (F-Haus)


Der gestrige Abend warf für mich zwei elementare Fragen auf.
Erstens: Warum hat mir dieses “Rosen-Pils” bisher noch nicht geschmeckt?
Die wichtigere Frage - und wohl auch die sinngebende des ganzen gestrigen Abends – ist aber die zweite:
Warum zum Kuckuck funktioniert eigentlich Humppa so gut?
Es ist schon ein wenig schräg, wenn man sich vorstellt, daß eine originär finnische Rentnermusik bundesweit ein buntes Potpourie von Menschen jeglicher Altersguppen und musikalischer Prägung in kleine bis dann doch schon mittelgroße Hallen zieht. Dort kleiden sie sich in leicht veraltet anmutende Anzüge oder T-Shirts mit Strichmännchen-Rentieren darauf und haben einfach eine unglaublich gute Zeit. Noch verwirrender wird das Ganze, wenn man bedenkt, daß nicht eben wenige davon aus der Metalhead-Ecke kommen und ansonsten ihre Abende damit verbringen kräftig die Matte zu schütteln während Bühnenderwische in Nietenleder die Bühne auf und ab rammeln und finstere Texte ins Mikro röhren. Die stehen dann neben Hardcore-Typen, Gothicpüppies, Altrockern, Nerdstudenten und lauter anderen Leuten vor der Bühne, mit denen sie sonst wahrscheinlich nie die Halle teilen. Und mit “nie” meine ich eigentlich “nienienienienienienienienienie….. NIIIIIEEEEEEEEMALS”! Aber wenn “Humppa” ist, dann sind sie alle da; und alle die da sind, sind mit genau der gleichen Begeisterung dabei. Und gestern, da war es mal wieder so weit.
Recht kurzfristig entschied ich, meinen nächstwöchigen Kurzurlaub um einen (Frei-)Tag zu verlängern und das Gastspiel jener Kapelle aus dem schönen finnischen Joensuu zu besuchen, welche da unter dem Namen “Eläkeläiset” bekannt ist. Ich schickte die Schwester kurzerhand los, die beiden Tickets zu besorgen und düste am Donnerstag nach der Arbeit schnurstracks gen Jena. Dort angekommen pfiffen wir uns erst einmal eine vernünftige Fertigpizza mit Extra Würschteln rein und spazierten sodann in die Stadt. Ziel unserer Reise war das F-Haus und schon als wir in dessen Nähe kamen waren die Straßen mit eindeutig gewandeten Mitmenschen gesäumt. Wir schlängelten uns also durch die Gassen und genossen mal wieder einen dieser unglaublich chilligen Einlässe – mehr als Karte zeigen war nicht abverlangt. Dann gabs noch ein Stempelchen auf die Hand und wir betraten den Raum durch einen Eingang direkt neben der Bühne, auf welcher sich “der Vorband” eben anschickte zu beginnen. Für einen einzelnen Mann mit einer Akustikgitarre hatte der Kerl schon eine beeindruckende Wirkung auf den noch recht überschaubar gefüllten Saal. Da habe ich schon wesentlich lautere Bands mit exklusiveren Equipment vor volleren Häusern scheitern sehen. Spätestens als ihm eine Saite riss und er das gekonnt überspielte und den Wechsel live mit in die Show einbaute, hatte er den Saal auf seiner Seite. Allerdings, das muss man auch dazu sagen, ist so ein Humppa – Publikum auch eine denkbar dankbare Menge. Die Leute sind hier um spaß zu haben, ein wenig vom Kuchen der akustischen Anarchie zu kosten und eine Band zu sehen, die sich alles andere als Ernst nimmt. Wenn da der Opener gleich mal das Sandmann-Lied als Einmarschmusik wählt, ist für ihn die Grundlage doch schon einmal gelegt. Nachdem ich erst einmal die Getränkefrage temporär geklärt hatte stellten wir uns mit unseren Bierchen direkt vor die Bühne und schauten dem Kerl ein wenig zu. Dann erstand ich noch fix mein obligatorisches Erinnerungsshirt im Motörhead-Style (sehr kleidsam, wenn auch ein wenig zu groß) und wir osmotisierten so langsam ein Stück weiter nach hinten in der Halle. Warum? Naja, da war die Baar!

Neben dem Shirt, bei dem man schon fast schamlos von Motörhead abgekupfert hat, gabs für mich (wahrscheinlich, weil ich so großartig bin) vom Merchandise-Dude noch einen kleinen Aufnäher geschenkt, welcher mindestens ebenso schamlos die norwegischen Metallknallköpfe von Turbonegro und deren Fanclub – die “Turbojugend” persifliert.

Sobald ich eine vernünftige Nadel habe, kommt das Ding auf meine Weste ! Irgendwann während dem zweiten Bier betraten schließlich Eläkeläiset die Bühne und Jubel brandete auf. Um mich vor der Beschreibung der Herren zu drücken, hier mal folgender schnappschuß zur Verdeutlichung:


Die optische Erscheinung gibt auch schon klar die Richtung vor: Spaß! Vom ersten, eingetrommelten Stück an, gings rund im F-Haus. Vor der Bühne wurde ausgelassen getanzt (von einem Moshpit möchte ich mal nicht gleich reden) und binnen 20 Minuten wippten und schunkelten fast ausnahmslos alle im Saal zumindest mit dem einen oder anderen Körperteil im eingängigen 2/4-Takt mit. Ich konnte mir ein breites Grinsen und ein weiteres Bier nicht verkneifen, als die Humppa-Lawine so durch den Saal rollte und nach etwa einer halben Stunde der Anarchowahnsinn langsam durchschimmerte als einer der Kerle mit seiner Geige von der Bühne sprang und direkt an mir vorbei quer durch den Saal schoß. Fleißig weiter fiedelnd wurde er erst zum Ende des Songs wieder auf der Bühne gesichtet. Nebenbei wurde on Stage noch fleißig gebechert und der Stimmungspegel stieg analog an. Es entwickelte sich diese ausgelassene Stimmung, für welche Eläkeläiset bekannt sind – irgendwo zwischen sympathischem Irrsinn und kontrollierter (schlecht kontrollierter) Beknacktheit. Wohlfühltatmosphäre eben! Um einen herum gingen alle fröhlich mit, die Band aus meiner ehemaligen Temporärheimat gab ordentlich Gas und die Bar war immer in Reichweite – was will man eigentlich mehr. Spontane Einlagen wie der Ententanz (herrlich dargeboten – bleibt auf jeden Fall hängen) oder diverse “Spaziergänge” auf dem Keyboard welche in enthemmtes Eintreten auf das Teil übergingen (wobei aber immer noch halbwegs passende Töne hervor kamen). Toller Abend. Klar, es wurde warm und der Schweiß rann – aber da man kluger Weise die Flüssigkeitsreserven permanent wieder auffüllte, fiel das auch nicht weiter ins Gewicht. Man hatte einfach Spaß! Eine Setlist auszumachen war schlichtweg unmöglich, was aber auch keine Rolle spielte. Eläkeläiset – Konzerte sind unterm Strich ein einziges, 2-3 Stündiges Humppa – Happening, bei dem man sich voll und ganz in selbiger Musik verliert. “Humppa”, nix als “Humppa” und man will nicht, dass er aufhört, der “Humppa”! Eine Hand voll Bierchen später wurde dann aber nach der zweiten Zugabe mit der Humppa-Version des Kraftwerk-Klassikers “Das Model” der Abend leider schon beendet. Viel zu schnell und dennoch würdig wie ich sagen muß.
Unterm Strich ein würdiger und höchst unterhaltsamer Auftakt ins Konzertjahr 2012 für mich. Es ist immerhin schon Ende April und ich saß seit Motörhead letzten Dezember auf dem Trockenen. Die letzten Tage schleppte ich mich auf Arbeit nur noch dem Urlaub und damit dem musikalischen Finnland-Double-Feature dieser Tage entgegen. Entsprechend gut fühlte es sich dann auch an, als die Herren los legten. Endlich wieder zu Besuch in der Welt der (lauten) Musik, endlich wieder Schweiß, endlich wieder Bier und endlich wieder… Humppa! Das Fazit fällt somit sehr positiv aus. Gut, in Karlsruhe vor 3 Jahren, da war noch mehr los, da hat das selige alte Substage noch ein paar Stufen höher gekocht und wenn ich mich richtig erinnere war der Abend da auch nochmal eine gute halbe Stunde länger, aber gestern, das war dann auch ganz großes Tennis. Was mir nebenbei noch auffiel ist, daß ich gestern in meiner Konzertlaufbahn den ersten Eurovisions-Song-Contest-Teilnehmer live erlebt habe, wie folgendes beweist:

Wohlgemerkt, eine Gruppe, die auf der anderen Seite auch schon Wacken gerockt hat. Wer also von euch noch nicht in Kontakt mit “Humppa” gekommen ist (was kein Vorwurf ist, man hat ja selten die Gelegenheit), der sollte das mal schleunigst nachholen. Der Satz des Tages entstammt meiner Schwester, welche ich einfach mal als Begleitung für diesen Abend zwangsrekrutiert habe. Sie war vorab sehr skeptisch und wirkte gar ein wenig genervt von der Aussicht, 3 Stunden “Humppa” – Musik live zu hören. Am Ende des Konzertes gab sie breit grinsend zu, daß es schon sehr, sehr lustig gewesen sei. Ihre leicht sarkastisch dargebotene Bemerkung direkt vorm Einlass wird mir aber dauerhaft in Erinnerung bleiben… der Spruch war einfach zu göttlich:
“Das ist doch wie J.B.O., nur auf Finnisch!”
In diesem Sinne… mal kurz regenerieren und dann die Nackenmuskulatur auf Dienstag vorbereiten.

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